Beitrag von Thomas Hagenhofer, Landesvorsitzender der DKP Saarland, auf dem zweiten Ratschlag marxistische Politik am 17.06.23 in Frankfurt/M.:
Liebe Genoss*innen,
die, ich nenne sie mal moderne, Friedensbewegung entstand nach 45 vor dem Hintergrund der die Menschheit bedrohende Gefahr der Vernichtung durch atomare Bewaffnung. Heute sind die Gefahren für das Überleben multipler und komplexer.
Wir haben es mit folgenden Bedrohungen zu tun, wahrscheinlich ist die Liste nicht mal vollständig: Atomkrieg, Klimakatastrophe, Artensterben, Vermüllung der Meere und Endlichkeit natürlicher Ressourcen wie Wasser, Ackerflächen und Sand. Wie ein politökonomischer Tauchsieder treibt das kapitalistische Profitsystem diese Krisen an, zusätzlich werden sie angeheizt von einer Rechtsentwicklung politischer Systeme und der Zivilgesellschaften. Sie lösen Fluchtbewegungen aus, die die Lage weiter verschärfen und zudem aufgrund der Abschottung der kapitalistischen Zentren Tausende jährlich sterben.
Und wir haben es zudem mit einer neuen Bedeutung des Faktors Zeit in diesen Krisen zu tun. Die Gefahr einer atomaren Konfrontation ist so hoch wie nie, aber sie ist zeitlich nicht bestimmbar. Die Krisen im globalen Ökosystem sind es, die Uhr tickt gnadenlos herunter und wir erleben, wie der Kapitalismus vor diesen Herausforderungen versagt.
Wenn diese Analyse auch nur im Ansatz stimmt, dann verändern sich die Perspektiven für eine Friedensbewegung, die diesen Bedrohungen in ihrer Gesamtheit begegnen will. Dann kommen wir nicht umhin, die Zusammenhänge viel stärker herauszuarbeiten, dann kann die Friedensbewegung der kapitalistischen Profitlogik nicht indifferent gegenüber stehen. Das meint nicht, aus der breiten Friedensbewegung eine revolutionäre Kraft zu machen oder eine, die alle globalen Menschheitsprobleme bearbeiten will. Es meint aber, dass die Friedensbewegung sich vom Grundsatz her als kapitalismuskritische Kraft verstehen muss, wenn sie auf der Höhe der Zeit sein will. Selbiges gilt natürlich auch für die Klimabewegung.
Darüber hinaus kommt heute der Vernetzung der Bewegungen eine viel höhere Bedeutung zu. Nicht umsonst verbreitet sich die Losung „Krieg ist der größte Klimakiller“. Und ebenfalls wird Friedensbewegung immer auch Solidaritätsbewegung für Geflüchtete sein müssen, schon wegen des engen Zusammenhangs von Krieg und Flucht. Die Losung „Grenzen öffnen für Menschen – Grenzen schließen für Waffen!“ ist angesichts der jüngsten Entwicklungen ein Muss für friedensbewegte Kräfte.
Gleichzeitig bleibt die Herausforderung, das so wichtige strategische Bündnis von Arbeiter- und Friedensbewegung zu erneuern. Das mag vor den aktuellen Entwicklungen eine fast utopische Orientierung sein. Zu sehr sind die Gewerkschaften eingebunden in die bellizistische Einheitsfront, die diesen Krieg um nahezu jeden Preis gewinnen will. Und genauso verhält es sich im Verhältnis zu den Kirchen. Wenn die FAZ letzte Woche zum Evangelischen Kirchentag titelte: „Abschied von der Generation Käßmann“, dann wird schlaglichtartig deutlich, wie sehr uns dieser Krieg zivilisatorisch zurückwirft. Aber wir wissen auch, dass nichts so bleibt wie es ist, schon gar nicht in dieser Schussfahrt des Katastrophenkapitalismus Richtung Untergang. Die Widersprüche werden nicht nur sichtbarer, sie werden erlebbar, werden von den arbeitenden Menschen erlitten. Wie in den 80er Jahren werden diese Widersprüche, diese Kanonen-statt-Butter-Politik zu neuen Massenbewegungen gegen Krieg und Aufrüstung führen, wenn der Schulterschluss mit den Gewerkschaften gelingt, wenn sich die Friedensbewegung nicht in eine bündnispolitische Sackgasse manövriert.
Denn eines sollte uns klar sein: Die Integration von rechtsesoterischen, rechtsoffenen Kräften, von Verschwörungstheorieanhängern oder gar von AfD-Mitgliedern versperrt jede Vernetzung mit Klima-, Gewerkschafts- oder antifaschistischer Bewegung. Wir werden diesen Kriegskurs nur stoppen, wenn eine glaubwürdige Friedenbewegung wie in den 80er Jahren wieder deutlich an Einfluss gewinnt in der Sozialdemokratie, in den Kirchen und ja sogar bei den Grünen. Wer glaubt, durch kurzfristige Großaktionen gemeinsam mit dem Querdenkenspektrum Druck gegen die herrschende Politik aufbauen zu können, ist aus meiner Sicht auf dem Holzweg. Dadurch wird die Friedensbewegung nicht wirkmächtig sondern isoliert sich zunehmenden von den Bewegungen, mit denen sie eng zusammenarbeiten muss, um die Hegemonie in der Zivilgesellschaft zu erringen.
Danke für Eure Aufmerksamkeit!
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